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Der Countdown läuft – Endspurt zum Brexit

Aktueller Verhandlungsstand zum 17.12.2020
Während die steuerrechtlichen Konsequenzen des EU-Austritts des Vereinigten Königreichs durch das BMF-Schreiben vom 10.12.2020 weitgehend klar sind, wird über die völkerrechtlichen Beziehungen des vereinigten Königreichs Großbritannien zur EU nach dem Brexit aktuell immer noch verhandelt. Ein „Cold Brexit“ wird allerdings immer wahrscheinlicher, da die Verhandlungspositionen noch weit auseinander liegen.
Allerdings wird selbst eine Einigung über ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich nicht mehr rechtzeitig von den Parlamenten ratifiziert werden können.

BMF-Schreiben vom 10.12.2020 zu den umsatzsteuerlichen Konsequenzen
Nachdem das Vereinigte Königreich Großbritannien inklusive Nordirland bereits am 31.01.2020 offiziell aus der EU ausgetreten ist, endet zum 31.12.2020 auch der vereinbarte Übergangszeitraum, in dem das Vereinigte Königreich noch behandelt worden ist wie ein Mitgliedstaat der EU.

Dies bedeutet konkret, dass Großbritannien (England, Schottland, Wales) sowohl hinsichtlich des Warenverkehrs als auch hinsichtlich der Erbringung von sonstigen Leistungen als Drittland behandelt wird:

Warenlieferungen unterliegen somit den zollrechtlichen Förmlichkeiten:

  • Gestellung der Ware bei der Einfuhr und Ausfuhr
  • Anmeldung des entsprechenden Zollverfahrens
  • Ware unterliegt der Einfuhrumsatzsteuer und Zöllen

Britische Unternehmen fallen aus dem MIAS System, Lieferungen und sonstige Leistungen an britische Unternehmen sind nicht mehr in der ZM zu melden. Zudem besteht keine Bindung mehr an den Unionszollkodex oder an EuGH-Entscheidungen, gleiches gilt für internationale Verträge der EU mit Drittländern.

Anders verhält es sich bei Nordirland:
Nordirland wird zwar hinsichtlich der Erbringung von Sonstigen Leistungen ebenfalls als Drittland behandelt, hinsichtlich des Warenverkehrs wird Nordirland aber auch nach dem 31.12.2020 als zum Gemeinschaftsgebiet gehörig behandelt.

Lieferungen nach GB oder von GB ins Inland, die vor dem 01.01.2021 beginnen und nach dem 31.12.2020 enden (umsatzsteuerrechtlich)

  • Warenbewegungen, bei denen die Beförderung oder Versendung vor dem 01.01.2021 beginnt und nach dem 31.12.2020 endet, sind als innergemeinschaftliche Lieferungen zu behandeln. Die Regelungen zum Belegnachweis nach §§ 17a ff UStDV und zur Abgabe der ZM sind einzuhalten.
  • Weist ein Unternehmer nach, dass der Liefergegenstand erst nach dem 31.12.2020 das Gebiet der EU verlassen hat, ist die Lieferung als steuerfreie Ausfuhr zu behandeln.
  • Endet eine vor dem 01.01.2021 in Großbritannien begonnene Beförderung oder Versendung nach dem 31.12.2020 im Inland, so handelt es sich noch um einen innergemeinschaftlichen Erwerb. Zur Vereinfachung kann aber auf die Besteuerung als innergemeinschaftlicher Erwerb verzichtet werden, wenn die Einfuhrumsatzbesteuerung nachgewiesen wird.

Sonstige Leistungen (Dauerleistungen), deren Erbringung vor dem 01.01.2021 beginnt und nach dem 31.12.2020 endet (umsatzsteuerrechtlich)
Bei Dauerleistungen, die sich über den Austrittszeitpunkt hinweg erstrecken, ist nicht zwischen Großbritannien und Nordirland zu unterscheiden

  • Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Ausführung der Leistung.
  • Bei zeitlich begrenzten Dauerleistungen gilt die Leistung mit Beendigung des entsprechenden Rechtsverhältnisses als ausgeführt.
  • Beginnt die Erbringung einer sonstigen Leistung vor dem 01.01.2021 und endet sie nach dem 31.12.2020, sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Beendigung maßgeblich; dies gilt auch analog für Teilleistungen.

Vorsteuervergütungsverfahren

  • Vorsteuervergütungsverfahren für Vorsteuern, die vor dem 01.01.2021 entstanden sind, müssen bis zum 31.03.2021 gestellt werden.
  • Bei Vorsteuern, die nach dem 31.12.2020 entstehen, ist zu unterscheiden:
    • Vorsteuern aus dem Waren- und Dienstleistungsverkehr mit Großbritannien müssen unmittelbar bei den Erstattungsbehörden des Vereinigten Königreichs nach dortigem Landesrecht beantragt werden.
    • Gleiches gilt für Vorsteuern aus dem Dienstleistungsverkehr mit Nordirland
    • Vorsteuern aus Warenbezügen aus Nordirland können hingegen weiterhin über das EU-Portal beantragt werden.

Bestätigungsverfahren für USt-Id. Nummern

  • Nach dem 31.12.2020 ist die Prüfung von britischen USt-Id. Nummer (Präfix “GB“) nicht mehr möglich.
  • Für den Warenverkehr mit Nordirland werden USt-Id. Nummern mit dem Präfix „XI“ eingeführt.

 

Welche zusätzlichen Punkte sind zollrechtlich zu beachten?

Einfuhren in das Vereinigte Königreich

  • Ab 01.01.2021 ist eine eigene britischen EORI Nummer erforderlich, die mit der britischen USt-Id. Nummer verknüpft wird (Link zur Beantragung: https://www.gov.uk/eori – Dauer derzeit ein bis zwei Wochen)
  • Trotz laufender Verhandlungen gibt es einen Link zum geplanten Zolltarifsystem in UK: https://www.check-future-uk-trade-tariffs.service.gov.uk/tariff
  • Ab 01.01.2021 ist für jede Lieferung eine reguläre Zollanmeldung erforderlich, da Vereinfachungsverfahren nur für in UK ansässige Unternehmen möglich sind
  • Nicht ansässige Unternehmer benötigen einen Zollagenten oder Spediteur, der die Einfuhrabwicklung als indirekter Vertreter wahrnimmt und berechtigt ist, im britischen Zoll-IT-System CHIEF Zollerklärungen abgeben zu dürfen (Link zu einer von der britischen Finanzbehörde veröffentlichten Liste mit Zolldienstleistern: https://www.gov.uk/guidance/list-of-customs-agents-and-fast-parcel-operators).

Warenlager / Warenbewegungen am Stichtag (zollrechtlich)

  • Am 31.12.2020 in der EU eingelagerte Ware hat den Status von Unionsware, außer es ist eindeutig erkennbar, dass es sich um Nicht-Unionsware handelt (z.B. Ware unter zollamtlicher Überwachung)
  • Für am 31.12.2020 in UK eingelagerte Unionsware soll (noch nicht sicher!) keine Überführung der Ware in den freien Verkehr erforderlich werden
  • Ware, deren Transport vor Ende der Übergangsphase beginnt und danach endet, unterliegt dem Unionszollkodex, wenn am Stichtag die Grenze EU / UK noch nicht überschritten war.

Regelungen zum Versandhandel / Fernverkäufe

Für Nordirland gelten die EU-Regelungen zum Versandhandel auch ab 2021 weiter.

Für Großbritannien ergeben sich hingegen folgende Konsequenzen:

  • Wegfall der Lieferschwelle und Steuerpflicht ab dem ersten Penny, womit eine umsatzsteuerliche Registrierungspflicht einhergeht; bereits bestehende Registrierungen bleiben gültig.
  • Erfordernis einer eigenen britischen EORI Nummer, die mit der britischen USt-Id. Nummer verknüpft wird (Link zur Beantragung: https://www.gov.uk/eori – Dauer derzeit ein bis zwei Wochen); eine bereits in Deutschland erteilte EORI Nummer gilt nur noch für die EU.
  • Versandhändler ohne Niederlassung in UK benötigen einen Zollagenten oder Spediteur, der die Einfuhrabwicklung als indirekter Vertreter wahrnimmt und berechtigt ist, im britischen Zoll-IT-System CHIEF Zollerklärungen abgeben zu dürfen (Link zu einer von der britischen Finanzbehörde veröffentlichten Liste mit Zolldienstleistern: https://www.gov.uk/guidance/list-of-customs-agents-and-fast-parcel-operators
  • Bei Versandhändlern ohne Niederlassung in Großbritannien werden für jede Lieferung nach Großbritannien ab 01.01.2021 Einfuhrabfertigungen erforderlich, eine Verlagerung auf Privatkunden dürfte nicht möglich sein. Die Wertgrenze von 15 GBP für Steuer- und Zollbefreiungen für Lieferungen entfällt zum 01.01.2021.
    Stattdessen wird der Warensendungswert von 135 GBP entscheidend (Verkaufspreis ohne Steuer und ohne Transport- oder Versicherungskosten, außer sie sind im Verkaufspreis enthalten):

    • Lieferungen bis einschließlich 135 GBP sind von britischem Zoll und EUSt befreit, müssen aber dennoch durch einen Zollagenten abgefertigt werden. Die Rechnung ist mit britischer Umsatzsteuer unter Angabe der britischen USt- Id. Nummer zu erstellen und in der britischen Umsatzsteuererklärung zu erklären.
    • Lieferungen über 135 GBP müssen von einem indirekten Stellvertreter zur Einfuhr angemeldet werden, es fallen britischer Zoll und EUSt an. Die Zollbeträge sind sofort fällig, da für nicht ansässige Unternehmen kein Aufschubkonto möglich ist. Die EUSt ist nachgelagert über die Steuererklärung zu entrichten; sie dürfte als Vorsteuer abzugsfähig sein. Die Rechnungsstellung dürfte analog zu den Lieferungen mit Warensendungswert bis 135 GBP zu erfolgen haben.
  • Beim Versandhandel über Online-Marktplätze gilt ebenfalls obige Unterscheidung bzgl. Warensendungswerten über oder unter 135 GBP. Außerdem wird ab 01.01.2021 ein Reihengeschäft fingiert, bei dem der Online-Marktplatz den B2C Verkauf an den britischen Kunden tätigt. Dies impliziert, dass der Online-Marktplatz sowohl die Zollabfertigung und Einfuhr als auch die Rechnungsstellung an den Kunden zu übernehmen hat; die Umsatzsteuer sowie die EUSt ist in seiner eigenen britischen Umsatzsteuererklärung anzugeben, den landesspezifischen Aufzeichnungs- und Archivierungsvorschriften ist Genüge zu leisten.

Handlungsempfehlungen: Analyse der eigenen Warenströme

  • Überprüfung von Reihengeschäften mit Beteiligung von UK, Wegfall von Dreiecksgeschäften
  • Vertragscheck: Wer trägt künftig eingangs- und ausgangsseitig die Einfuhrabgaben (Vorsicht „DDP“ oder „DAP UK“ !!!) und wer ist verantwortlich für die Zollformalitäten bzw. trägt die Kosten dafür? Wer hat die Verfügungsmacht an eingeführter Ware? (sonst kein Abzug der EUSt)
  • Überprüfung der Ware auf Verbote / Beschränkungen bei der Ein- und Ausfuhr (Dual-Use Verordnung, Embargos und Sanktionen), Prüfung des Erfordernisses von Ausfuhrgenehmigungen
  • Ermittlung der zutreffenden zollrechtlichen Einreihung von ein- oder ausgeführter Ware
  • Beantragung eines Aufschubkontos oder Überprüfung der Sicherheitshöhe bei bestehendem Aufschubkonto hinsichtlich zusätzlicher Abgaben durch UK
  • Überprüfung einer Abgabenreduzierung durch Wahl des optimalen Zollverfahrens
  • Überprüfung der Warenursprungs- und Präferenzregelungen sowie deren Auswirkung auf die Kalkulation (Vormaterialien aus UK sind künftig nicht-präferenziell, Be- und Verarbeitungsvorgänge in UK begründen keinen EU-Ursprung mehr) à daher ggf. Prüfung eines möglichen Austausches der Zulieferer aus UK gegen EU-ansässige Unternehmen
  • Als Vorsichtsmaßnahme: Ggf. Abschmelzen des Lagerbestands zum Stichtag auf Null oder zumindest Dokumentation des zollrechtlichen Status der eingelagerten Ware

 

Achtung: Informationsstand 17.12.2020 – die zollrechtlichen Sachverhalte können sich aufgrund der laufenden Austrittsverhandlungen noch ändern

 

Für Rückfragen steht Ihnen unser Umsatzsteuer-Team gerne zur Verfügung.


Petra Weikl

Diplom-Kauffrau
Zertifizierte Fachkraft für das Umsatzsteuerrecht (IFU/IWIST)

Pascal Wirth
Steuerberater

 

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